Tausende Lutheraner und Lutheranerinnen aus der ganzen Welt sowie ökumenische Gäste versammelten sich im Sam-Nujoma-Stadion in Windhuk, Namibia, zum globalen Gedenken des 500-jährigen Reformationsjubiläums.
Bild: LWB
Namibia
Weltweite Ökumene, weltweiter Dialog
In Namibia begann am 10. Mai die 12. Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes (LWB). Rund 400 Delegierte der 145 Mitgliedskirchen aus 98 Ländern reisten dazu nach Windhoek. Aus Bayern waren sechs Delegierte vor Ort: Oberkirchenrat Michael Martin, die Präsidentin der bayerischen Landessynode, Annekathrin Preidel, das LWB-Ratsmitglied, der Augsburger Theologieprofessor Bernd Oberdorfer, die Ökumenereferentin Dr. Maria Stettner sowie die Jugenddelegierten Paula Göhre und Tim Sonnemeyer. Die Delegierten wurden begleitet von Experten aus den Themenfeldern Ökumene, Mission und Communio sowie Vertreterinnen verschiedener Berufsgruppen.
Ihre Eindrücke und Erlebnisse schilderten bayerische Delegierte und Experten in dem Reisetagebuch.
Michael Martin: Die Gruppe der Delegierten und Beobachter der VV des LWB aus der Evang.-Luth. Kirche in Bayern ist in Namibia angekommen. Vor der Vollversammlung macht sie sich ein Bild von der Situation der Kirchen in Namibia und dem Kontext, in dem die Vollversammlung stattfinden wird. Pfarrer Achim Gerber und Diakon Christoph Hoecht von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Namibia (DELK) haben uns empfangen.
Schon seit über 30 Jahren verfolgt der LWB die Erfüllung einer Jugendquote von 20 Prozent, die er konsequent erfüllt. Es ist wichtig, dass die Stimme der Jugend gehört wird. Die Themen, die Jugendliche weltweit am meisten beschäftigen, sind „Geschlechtergerechtigkeit und Menschenrechte“, „Bildung – für Geld nicht zu haben“ und „schrumpfende Kirchen“. Aus Bayern waren Paula Göhre und Tim Sonnemeyer (im Bild von links) auf der Jugend-Vor-Versammlung in Ondangwa im Norden des Landes. Mit Spannung dürfen wir die Stimmen der Jugenddelegierten erwarten.
Michael Martin: Pfarrer Achim Gerber und Diakon Christoph Hoecht von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Namibia (DELK) haben ein tolles Vorprogramm zusammengestellt. Am Sonntag Begegnung mit der lutherischen Gemeinde beim Gottesdienst in der Christuskirche mit einer eindrucksvollen Predigt von Bischof Brandt. Die Kirche ist eines der Wahrzeichen Windhoeks und wurde noch in der Zeit des Kolonialismus gebaut. Die Folgen desselben für Namibia im Allgemeinen und für die drei lutherischen Kirchen im Besonderen sind immer wieder Gesprächsthema bei unseren Kontakten.
Im Bild Mitglieder der bayerischen Delegation und der Begleitgruppe: ganz links Heinz Dunkenberger-Kellermann aus der Ökumene-Abteilung, in der Mitte der Leiter des Landeskirchenamts, Oberkirchenrat Nikolaus Blum.
Michael Martin: Wir besuchten eine Farm, trafen Buschmenschen und machten uns ein Bild von verschiedenen diakonischen Projekten: In der Township Katatura (Windhoek) hat die Delegation unter anderem ein ökologisches Gemüseanbauprojekt (Aquakulturen) im Gefängnis, einen "Kindergarten" (im Bild) - eine Oase für Kinder in schwierigen Situationen - das Pflegeheim Ephrata, in dem meist schizophrene Menschen Aufnahme finden, und die Stiftung Penduka besucht. Dort gibt es beispielsweise eine Schneiderei, eine Töpferei und Angebote für Touristen, die zahlreichen Beschäftigten Perspektiven zum Leben gibt.
Heinz Dunkenberger-Kellermann: Vorabend der Zwölften Vollversammlung. 800 Personen werden erwartet aus den lutherischen Kirchen unserer Erde. Die meisten sind schon angereist nach Windhoek in Namibia, eine Stadt mit rund 300.000 Einwohnern. Davon sind ein Drittel Arme in Armenvierteln. Und diese sind Schwarze. Die deutschsprachige Bevölkerung ist eine der einheimischen "tribes" (Stämme). Morgen früh um 8 Uhr beginnt der Eröffnungsgottesdienst. Das bedeutet für uns Frühstück um 6.45 Uhr. Um 7.20 Uhr werden wir, die Begleitgruppe, vom Shuttle-Bus abgeholt. Die Begleitgruppe hat die Aufgabe, wichtige Themen der Vollversammlung für verschiedene Zielgruppen in unserer Landeskirche heraus zu filtern, diese dann aufzubereiten und weiterzugeben.
Maria Stettner: Die 12. Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes in Windhoek ist eröffnet!
Zu Beginn wurden die Vertreter aus den verschiedenen Regionen der Welt begrüßt. Die Vertreter und Vertreterinnen des afrikanischen Kontinents erhielten mit den namibischen Gastgebern Applaus.
Es ist ein Privileg, dabei sein zu dürfen. Am 1. Tag der Vollversammlung präsentierten die Frauen-Vorversammlung und die Jugend-Vorversammlung ihre "Botschaften" - Anliegen und Perspektiven, die sie für die Arbeit des LWB formuliert hatten. Sehr nachdenklich stimmte ein Abschnitt aus der Frauen-Botschaft, in dem geschildert wurde, dass Frauen, auch ordinierte Frauen, in vielen Kirchen Missbrauchs- und Gewalterfahrungen machen. Der LWB wurde aufgefordert, sich mit diesem Missstand auseinanderzusetzen.
Paula Göhre: „Heute haben wir die Botschaft der Jugend gehalten. Das war unser Moment!!! Hier ein Auszug: "Die heutige Welt ist in stetigem und schnellem Wandel begriffen, und wir als junge Lutheraner/innen wollen als Mitglieder einer weltweiten und vielfältigen Gemeinschaft Verantwortung übernehmen. Wir wollen alle zum Handeln in den Bereichen unserer drei zentralen Forderungen der Wiederbelebung der Kirchen, dem Streben nach Gleichheit und dem Einsatz für Bildung für alle aufrufen. Wir sind froh und stolz, dass wir an dieser fortwährenden Reformation teilhaben und teilnehmen können und werden uns darum bemühen, diese Verpflichtungen weiterzutragen - in die nächsten 500 Jahre!"
98 Prozent der Delegierten haben dafür gestimmt, dass aus unserer Botschaft Handlungen erfolgen sollen. Ein tolles Resultat!“
Maria Stettner: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Jugend-Vorversammlung präsentieren ihre Arbeitsergebnisse in Form eines Filmclips mit kleinen Szenen, einem Song und einem Text. Aus der ELKB waren drei Stewards dabei sowie die beiden Jugenddelegierten Paula Göhre und Tim Sonnemeyer. Tim trug den letzten Abschnitt der Jugendbotschaft vor. "Die heutige Welt ist in stetigem und schnellem Wandel begriffen, und wir, die jungen Lutheranerinnen und Lutheraner, übernehmen als Mitglieder einer weltweiten und vielfältigen Gemeinschaft Verantwortung. Unsere drei Schlüsselverpflichtungen zur Wiederbelebung der Kirchen, zum Streben nach Gleichheit und zum Einsatz für Bildung sind unser Aufruf zum Handeln für alle. Wir sind froh und stolz, dass wir an dieser fortwährenden Reformation teilhaben und teilnehmen können und werden uns darum bemühen, diese Verpflichtung weiterzutragen - in die kommenden 500 Jahre." Mich hat beeindruckt, wie die junge Generation sich kreativ und tiefgründig einbringt. Dass der LWB junge Leute über mehrere Jahre hinweg zusammenbringt und auf dem Weg zur Vollversammlung hin begleitet, lohnt sich ganz offensichtlich. Das Projekt "Young Reformers" ist super ...
Heinz Dunkenberger-Kellermann: Die Jugend hat drei Punkte formuliert und die lutherischen Kirchen gebeten, verstärkt ihre Aufmerksamkeit darauf zu richten: revival (Erneuerung) der Kirchen, equity (Gleichheit), education (Bildung für alle). Gerade der erste Punkt löst natürlich eine Diskussion aus, was konkret damit gemeint ist und welche Vorstellungen/Ideen/Wünsche/Sehnsüchte damit verbunden sind.
Michael Martin: "Der Vortrag von Generasekretär Martin Junge heute bei der VV war einerseits ein Bericht über die geleistete Arbeit des LWB (74 Millionen Mitglieder in 145 Kichen) in den letzten sieben Jahren, anderseits aber auch ein hoffnungsvoller Ausblick auf die Möglichkeiten und Herausforderungen für die Gemeinschaft der lutherischen Kirchen in den nächsten Jahren. Dabei spielen die Versöhnungsprozesse zwischen den Kichen, z.B. der Lutherischen und der Römisch-Katholischen..., der mit dem gemeinsamen Gottesdienst in Lund am Reformationstag 2016 auf eine ganz neue Grundlage gestellt wurde, oder auch der Lutherischen und der Mennonitischen nach der Versöhnung 2010 in Stuttgart, eine wichtige Rolle. Theologie ist für den LWB unverzichtbar. Die Arbeit des Weltdienstes ist von diesem Engagement nicht zu trennen. Weltweite Diakonie und thelogische Arbeit sind die beiden Seiten der gleichen Münze. Erstaunlich, wie vielen Menschen in nahezu ausweglosen Situationen der LWB mit seinem Weltdienst neue Lebensperspektiven eröffnet hat (2,5 Millionen Menschen in 24 Ländern werden aktuell durch die Arbeit unterstützt) - angefangen mit den Flüchtlingen nach 1945 in Europa bis zu den Bildungsprojekten in Flüchtlingslagern unserer Tage z.B. in Kenia, Jordanien oder Irak. Dabei sprach der Generalsekretär davon, dass wir gerade bei den ökumenischen Dialogen eine Langzeit-Vision brauchen, aber auch eine "prophetische Ungeduld" für Gerechtigkeit, Friede und Versöhnung."
Martin Wirth: „Der Generalsekretär Dr. Martin Junge inspiriert mich mit seinem Bericht: Lutherisch ist selbstverständlich ökumenisch, und die 145 weltweit verteilten Kirchen der lutherischen Kirchengemeinschaft können und müssen zusammenklingen wie ein Glockenspiel, wo jede Glocke einzigartig ist in ihrem Klang. Ich lasse mich begeistern, dass wir unterwegs sind, „liberated by God´s grace“ (befreit durch Gottes Gnade) und teilhaben an einer Befreiungsbewegung durch das Evangelium.“
Heinz Dunkenberger-Kellerman: "Martin Junge ist eine charismatische Person, welche die Einheit des LWB und die Offenheit und Bereitschaft für den Dialog untereinander und miteinander in seiner Person verkörpert. „Refugees loose many things when they flee but never their human rights” - dies ist gleichzeitig eine Aktion des LWB, der sich weltweit für die Rechte und die Würde der Flüchtlinge einsetzt. Junge: „There is future because god is alive.“ Angesichts der weltweiten Krisen, der Polarisierung, dem Auseinanderbrechen von Gemeinschaft (Fragmentation), den Nationalismen, drückt dieser Satz in seiner Schlichtheit alles aus, was die Christen, die Kirchen und letztendlich die Welt trägt."
Sarafina Märtz: Ich habe das Glück, als Steward im Plenarsaal eingeteilt zu sein und alle Veranstaltungen im Plenum direkt mitzubekommen. Die Vormittagssessions waren unglaublich eindrucksvoll. Generalsekretär Dr. Martin Junge hat LWB- seinen Bericht gehalten und ist dabei vor allem auch auf die Rolle von Frauen und der Jugend eingegangen. Er ist der einzige bis jetzt, der sich auch schon explizit bei uns Stewards und Ehrenamtlichen für unser Engagement bedankt hat und der immer wieder hervorhebt, wie wichtig Jugendpartizipation ist. Ein bewegender Moment in seiner Rede war auch ein Video, das die Unterschrift einer Erklärung gezeigt hat, die Papst Franziskus und LWB-Präsident Bischof Younan in Lund in Schweden im Jahr 2016 unterzeichnet und damit eine engere interkonfessionelle Zusammenarbeit besiegelt hatten. Ganz nach dem Motto „There is more that unites us, than what devides us“ hat er für den interkonfessionellen Dialog geworben.
Astrid Polzer: „Trotz allem Entsetzen über die weltweite Gewalt gegen Frauen beeindruckt mich an dem Hauptvortrag von Dr. Mukwege aus dem Kongo sein Engagement für die Frauen. Sein Aufruf, dass wir uns nicht mit unserem kleinen Mikrokosmos zufrieden geben sollen (in dem alles mehr oder weniger in Ordnung ist), macht mich sehr nachdenklich.“
Sarafina Märtz: „Denis Mukwege hat eine flammende, aufrührende Rede gehalten, fast schon wütend über das ganze Leid, das er gesehen hat, als er Frauen operierte. Wütend auch auf sein eigenes Geschlecht: Männer, die dazu erzogen werden, Frauen nicht zu respektieren, was teilweise schon im Kindesalter beginnt. Er hat mir Bilder in den Kopf gesetzt, die dort nicht so bald wieder verschwinden werden und mich sehr nachdenklich gemacht haben, aber auch sehr bewusst haben werden lassen für das Glück, dass ich habe, nicht in einem Kriegsgebiet geboren worden zu sein oder an einem Ort, wo Frauen nur auf ihre biologische Eigenschaft des Kinderkriegens reduziert werden. Ich bin wirklich so unheimlich dankbar und glücklich, dass ich hier sein darf und solche Momente erleben kann. Bevor ich hierhergekommen bin, hatte ich die Hoffnung, dass ich gewachsener nach Hause fliegen werde, aber ich weiß jetzt schon, dass ich viel mehr mitnehmen werde für meine gesamte Persönlichkeit.“
Maria Stettner: "Liberated by Gods Grace (Befreit durch Gottes Gnade) lautet das Thema des Tages. Den zentralen Akzent setzte dazu der Hauptreferent Dr. Denis Mukwege, ein Arzt aus dem Kongo. Die Behandlung tausender Frauen, die auf schreckliche Weise Opfer von Vergewaltigungen geworden sind, wurde ihm zum Antrieb, sich für die Rechte von Frauen einzusetzen. Er beschrieb Vergewaltigungen als Kriegstaktik in einem Krieg, der nicht von ethnischen oder religiösen Motiven getrieben ist, sondern einzig und allein vom Verlangen nach Geld. Durch die massenhaften Vergewaltigungen werden die Menschen tief beschämt, und das soziale Gefüge wird zerstört - das führt letztlich dazu, dass sie vertrieben werden können, um auf ihrem Land Bodenschätze wie Coltan zu heben. Menschenleben gelten nichts bei den Geldgierigen. Für diese Frauen setzt Mukwege sich ein, obwohl er und seine Familie deswegen bedroht werden. Martin Luthers Lied "Ein feste Burg ist unser Gott" ist für ihn ein Widerstandslied in einer Welt voller Teufel.
Was hat das mit dem Thema der Befreiung aus Gnade zu tun? Für Dr. Denis sehr viel - wer durch Gottes Gnade befreit ist, ist dafür verantwortlich, dass andere Menschen ebenfalls befreit leben können. Dass (auch) die Kirchen bei Gewalt gegen Frauen wegsehen und nicht die Stimme erheben, ist für ihn ein Skandal. So können Kirchen ihrem Auftrag und ihrer Verantwortung nicht gerecht werden. Dabei können die Kirchen durchaus Einfluss auf die Menschen nehmen. Im Blick auf die sexualisierte Gewalt ist das Schweigen der Kirchen in Afrika (und anderswo) zu Themen der Sexualität fatal. Das Verschweigen/die Tabuisierung der Sexualität öffnen die Tür für Gewalt - davon ist Mukwege überzeugt. Die Frauenfeindlichkeit in den Kirchen und die Mißachtung von Frauen habe ihre Wurzeln in einer falschen Theologie ...
Die Frage nach der Rolle und der Gleichberechtigung von Frauen in der Kirche ist bisher ein roter Faden auf der Vollversammlung - in der "Botschaft" der Frauen-Vorversammlung ebenso wie in unserer "Villagegroup". Eine Frau aus Nigeria erzählt, wie die Frauen ausgeschlossen werden von der geistlichen Mitwirkung in ihrer Kirche. Aus der Bibel vorlesen oder gar predigen - völlig undenkbar, auch dann, wenn sie sich von Gott berufen wissen."
Paula Göhre und Tim Sonnemeyer sind die bayerischen Jugenddelegierten bei der 12. Vollversammlung des Lutherichen Weltbundes in Windhoek/Namibia.
Michael Martin: "Salvation not for sale" - dies war das Thema des Tages. Dabei wurden Herausforderungen durch das "prosperity gospel" genau so angesprochen wie die theologische Überzeugung, dass Erlösung nie nur ein individueller Akt ist, sondern immer in eine Gemeinschaft hineinwirkt, dies also Auswirkungen hat auf unser Zusammenleben vor Ort genauso wie weltweit. Erlösung ist ein Geschenk, das nicht wir verteilen, sondern das wir alle von Gott empfangen können. Aber dieses Geschenk hat Auswirkungen - oder wie Luther sagen würde "Früchte". Diese Früchte des Glaubens sind Friede, Gerechtigkeit und Versöhnung, für die wir als Christen uns einsetzen. Genau das unterstreicht auch Dietrich Bonhoeffer, wenn er von der "teuren Gnade" spricht, um die es den Christen geht und die der "billigen Gnade" gegenübergestellt wird. Erlösung ist nicht zu kaufen, sie ist Geschenk. Aber sie ist ein Geschenk mit Folgen für die Menschen und unsere Welt."
Maria Stettner: „Die Bibelarbeit hielt heute Prof. Dr. Bernd Oberdorfer, der nicht nur Mitglied unserer Delegation ist, sondern auch Mitglied des Rates des LWB. Er führte in die altbekannte Geschichte vom Zolleinnehmer Zachäus ein. Die Bibelarbeit und der Vortrag der indischen Theologin Dr. Melanchthon bildeten die Grundlage für die Gespräche in den so genannten Dorfgruppen. In den Dorfgruppen treffen sich an vier Terminen während der Vollversammlung die Delegierten, um sich auszutauschen. Ich wurde gebeten, die Co-Leitung einer solchen Gruppe zu übernehmen. In unserer Gruppe sind Frauen und Männer aus vielen verschiedenen Ländern: Tanzania, Nigeria, Indien, Malaysia, USA, Argentinien, Norwegen, Estland, Deutschland, Finnland, u.a. Aus Hongkong wurde berichtet, dass viele Menschen die Kirchen, ihren Gottesdienst und Angebote wie Konsumartikel (be)nutzen. Sie nehmen mit, was sie bekommen können, und ziehen dann weiter ... Andere erzählten von Kirchen in ihrem Umfeld, die Heil und Wohlstand versprechen, wenn nur genügend Spendengeld beim Pastor landet. Was haben demgegenüber lutherische Kirchen zu bieten? Das Heil, das geschenkt ist, das wir nicht besitzen können, nicht verlangen, nicht erarbeiten - aber empfangen. Nachmittags hatte ich die Gelegenheit, in einem Workshop über "interfaith relationships" die Konzeption des Interreligiösen Dialogs der Evang.-Luth. Kirche in Bayern vorzustellen - und erfuhr im Gegenzug von den drei anderen, die Kurzbeiträge gaben, von spannenden Projekten. Ein indonesischer Jugendpfarrer berichtete von einem interreligiösen Begegnungsprojekt, zu dem per Facebook eingeladen wurde. 176 Personen interressierten sich dafür - 26 wurden zur Teilnahme am Programm "ingaged" ausgewählt. Begegnung, Gespräche, Spiele, Essen und gegenseitige Besuche in Kirche, Moschee, Tempel etc. gehören zu dem insgesamt 7-tägigen Programm. Und am Ende verbringen die jungen Leute 24 Stunden in einer Gastfamilie einer anderen Religion, um deren Leben kennen zu lernen. Eine tolle und herausfordernde Idee.“
Nikolaus Blum: „Der Kongress öffnet die Augen, dass Kirche international eben nicht trocken auf dem Papier steht und von einigen Amtsträgern verwaltet wird, sondern lebendig und inspirierend in Erscheinung tritt. Es geht eine große Energie von dem Kongress und den vielfältigen lutherischen Kirchen aus, gerade von denjenigen, die sich in einem schwierigen Umfeld behaupten und bewähren müssen. Es ist wirklich erstaunlich, was auf internationaler Ebene mit vergleichsweise wenig Mitteln erreicht wird. Zwei Erkenntnisse nehme ich aus den ersten Tagen des Kongresses mit: Das internationale Engagement in der Ökumene ist für jede einzelne Person eine Bereicherung und für die Kirche eine Energiequelle, auch für uns. Hier wird sichtbar, wie mit moderaten Mitteln, mit übergreifendem Dialog und mit dem Engagement einzelner Menschen viel erreicht werden kann.“
Karsten Schaller, Martin Wirth, Regine Kellermann, Susanne Heyer, Astrid Polzer, Tanja Vincent, Heinz Dunkenberger-Kellermann: „Her mit dem guten Leben“ – ein Grafiti, gesprüht an irgendeine Mauer. Nach dem Plenum heute Morgen möchte ich diesen Satz umwandeln in „Her mit dem Respekt für die Menschen“. Und dies in unsere Gesellschaft, unsere Kirche, unsere Partnerschaften rufen. Wie können wir mitwirken an einer Haltung, dass z.B. Flüchtlinge als eine Möglichkeit der Entwicklung gesehen werden, dass wir in unseren Partnerschaften Möglichkeiten schaffen, dass Menschen ihre Fähigkeiten entfalten können? Wie schaffen wir es, dass wir nicht nur bei moralischen Appellen bleiben, noch dazu bei längst bekannten?
Wie schaffen wir es, in unserem Glauben zu bleiben, begeistert zu bleiben, nicht zu resignieren, nicht in ein Moralisieren zu verfallen in einer Welt, in der Menschen verkauft werden wie Handelsobjekte, wo wir Menschen statt als Subjekte wie Objekte behandelt werden und v.a. danach gefragt wird, was nützt uns dieser Mensch?
Wie schaffen wir es, in eine Grundhaltung des Respekts vor dem anderen, vor mir selbst, vor Gott zu kommen? Einen life-style des Respekts dazu zu entwickeln, wie es eine Frau aus Südafrika formuliert hat. Wie schaffen wir es bei uns vor Ort, zum Beispiel Flüchtlingen einen Raum zu geben, noch dazu, wenn sie Flüchtlinge aus völlig anderen Kulturen sind mit völlig anderen Frömmigkeitsformen? Wie können wir Kirche im öffentlichen Raum inklusiv und konstruktiv gestalten?, war eine Aufforderung des Hauptredners Kjell Nordstoke.
Wie schaffen wir es, als Kirche unsere Stimme zu erheben in unserer Gesellschaft, dass Menschen in ihrem Wert nicht nur als „Menschenmaterial“ für die Arbeit gesehen werden? „Die Wirtschaft ist zu wichtig, um sie den Ökonomen zu überlassen!,“ war einer der markanten Sätze heute Morgen. Das Bedrängende dieser Fragen ist uns heute sehr deutlich geworden.“
Michael Martin: „Tausende Lutheraner und Lutheranerinnen aus der ganzen Welt sowie ökumenische Gäste versammelten sich im Sam-Nujoma-Stadion in Windhuk, Namibia, zum globalen Gedenken des 500-jährigen Reformationsjubiläums mit einem beeindruckende Gottesdienst. „Wir brauchen jetzt nicht die Rechtfertigung der Untaten der Vergangenheit, sondern dass Gott in seiner Gnade all unsere Frevel tilgt und in unserer Welt reine Herzen voll Liebe, Gerechtigkeit und Frieden schafft“, sagte der namibische Bischof emeritus Dr. Zephania Kameeta in seiner Predigt. Er verkündete eine Botschaft der Hoffnung und der Befreiung und vertiefte damit das Thema der Vollversammlung „Befreit durch Gottes Gnade“.
„Wir stehen vor einer spirituellen und theologischen Aufgabe: unsere Geschichte aus einer Perspektive der Einheit und nicht der Trennung zu erzählen“, sagte der LWB-Präsident Bischof Munib A. Younan in seiner Begrüßung. „Und jetzt heute, hier in Namibia, sind wir hier alle zusammen ein Zeichen dafür, dass die Reformation in der Tat andauert und eine Weltbürgerin ist.“ Das wurde besonders deutlich durch sieben Berichte aus aller Welt. „Die sieben Berichte aus allen LWB-Regionen sprechen vom Zeugnis der Lutherischen Kirchen in vielen Kontexten und Kulturen“, sagte der LWB-Generalsekretär Pfarrer Dr. Martin Junge.
„Es sind Geschichten von Ermutigung und Inspiration. Wenn wir sie hören, denken wir an die Anfänge des Glaubens: Wir sind neu geworden durch die Taufe, gereinigt im Bad der Erneuerung. Wir danken Gott, der uns hier und heute dazu ruft, Gottes Volk voller Gnade und Wahrheit zu sein.”
In seiner Predigt berichtete Bischof Kameeta vom namibischen Befreiungskampf, in dem er selbst aktiv war, und von der Hoffnung, die das Evangelium ihm dabei gespendet hat. „Wir werden nicht aufgeben und niemals aufhören, weil wir fest daran glauben, dass Hass, Gewalt, Gier, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, bittere Armut, Ungerechtigkeit, Ausbeutung, Terrorismus, Extremismus, Diskriminierung und Tod nicht das letzte Wort haben.“ Er rief die Anwesenden auf, Zeugnis für die befreiende Gnade Gottes abzulegen: „Liebe Schwestern und Brüder, die ihr des 500. Jahrestages der Reformation gedenkt, lasst uns von hier hinausgehen mit dieser befreienden Wahrheit, unserem Herrn Jesus Christus, um reformiert zu werden und Reformierende zu sein, erneuert und erneuernd, befreit und befreiend, um Leben zu führen, in denen Menschen Gnade, Liebe, Gerechtigkeit, Einheit und Frieden sehen und erfahren.”
Das Stadion, in dem der Gedenkgottesdienst stattfand, befindet sich in Katutura, das in der Zeit der Apartheid eine für die schwarze Bevölkerung errichtete Township war, in die sie zwangsweise aus anderen Stadtteilen Windhuks umziehen musste. „Diese große, internationale Ansammlung von Gottesdienstbesuchern und -besucherinnen zeigt mehr als alles andere, wie lebendig die Kirche ist und dass die Reformation weitergeht“, sagte LWB-Generalsekretär Martin Junge.“
Heinz Dunkenberger-Kellermann: „Befreite werden zu Befreiern!“ Im über vierstündigen Gottesdienst im Stadion im Stadtteil Katatura wurde für mich dieser Satz zum Zentrum der Predigt eines Pfarrer der „schwarzen lutherischen Kirche in Namibia“. Wie kann jemand, der von Gott befreit worden ist, diese Befreiung für sich behalten wollen? Es drängt ihn oder sie doch, diese Befreiung weiterzugeben, für eine Befreiung der anderen zu arbeiten. Der Gottesdienst war geprägt vom Singen, von den Chören, von Zeugnissen von Delegierten aus den verschiedenen Kontinenten, von einem fast einstündigen Abendmahl, vor allem aber von einer „heiteren“, fröhlichen Stimmung.
Besonders bewegte mich „das Zeugnis“ einer Delegierten aus Leningrad mit dieser Geschichte: Während des Zweiten Weltkriegs, als die Deutsche Armee Leningrad belagerte, als die Menschen verhungerten und erfroren, fragten sich die Lutheraner in der Stadt: Was können wir tun? Und sie entschieden sich, dass sie ihre Kirche, die aus Holz gebaut war, den Menschen zur Verfügung stellten. Die Kirche wurde Stück für Stück eingerissen, damit die Menschen das Holz zum Verfeuern hatten und so nicht erfrieren mussten. Die Menschen waren wichtiger als das Kirchengebäude. Vom Kirchengebäude blieb nichts mehr übrig, aber viele Menschen konnten dadurch vor dem Erfrieren gerettet werden.
Tanja Vincent: „Beim Morgengebet haben wir beim Sündenbekenntnis um Vergebung für unsere Flugtickets, Batterien, Seifen, Kosmetikartikel, Abfall und Geisteshaltung gebeten. Der Prophet Jesaja ruft seinen Leuten zu: Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch! (Jes. 55) Damit ist die Frage nach dem Zusammenhang von Schöpfung und Wirtschaft gestellt. Wie finden wir Erlösung aus dem Streben nach immer (noch) mehr.
Im Hauptvortrag stellt Martin Kopp das Modell der „Doughnut-Ökonomie“ vor, in dem es zwei Grenzen gibt. Nach innen die der sozialen Grundlage, also dem Zugang zu Energie, Wasser, Nahrung, Frieden, Einkommen, etc. sowie nach oben die der Nachhaltigkeit. An und unter der inneren Grenze ist es nötig, den ökologischen Fußabdruck pro Person zu erhöhen, um ein gutes Leben zu ermöglichen. An und über der äußeren Grenze müssen Werte verändert werden, z.B. von der Gier zur Einfachheit, von der Suche nach Größe hin zur Liebe und Sorgfalt. Er ruft auf, das in allen Lebensbereichen im Blick zu haben und mehr für eine Veränderung zu tun, im persönlichen, mehr aber noch im öffentlichen, politischen Bereich.
Die Gruppe der Multiplikatoren diskutiert im Anschluss über die Möglichkeiten selber aktiv zu werden, angefangen vom Aufruf zu mehr vegetarischem Essen in unserem Alltag der westlichen Welt, auch bei der Konferenz der Ökumenebeauftragten der ELKB, bis hin zu der Frage im gesamten kirchlichen Kontext. Was können wir tun, um die Schöpfung zu bewahren, im Kleinen wie im Großen? Wie erreichen wir einen Wandel, der viele mitnimmt? Was tun wir ganz konkret, um den ökologischen Fußabdruck unseres Lebens, unserer Gemeinden, unserer Abteilung zu verbessern? Antworten auf diese Fragen zu finden ist unser Auftrag.“
Martin Wirth: „Wir müssen ein anderes Denken entwickeln zur Lösung der Probleme die durch dieses Denken entstanden sind.“ (Albert Einstein). Der Hauptredner Martin Kopp aus Frankreich unterscheidet Wohlstandsländer von denen, wo die einen unter und die anderen über der Armutsgrenze liegen. Und von denen, wo es nahezu für alle zu wenig ist. Die Erde verkraftet im Durchschnitt einen ökologischen Fußabdruck von 1,6 Gigahektar Erdverbrauch pro Person und Jahr. Wenn wir so weitermachen, verzehren wir drei- bis viermal die Erde, obwohl uns nur eine anvertraut ist.
Eine Umkehr - eine spirituelle – ist nötig. Bereits jetzt befinden wir uns in einer katastrophalen Situation. Der ökologische Fußabdruck der Ärmsten wird größer werden müssen, und darf dennoch nicht über 1,6 steigen. In der Mitte der Skala müssen Länder im Durchschnitt die 1,6 halten, die unsere Erde im Höchstfall verträgt, aber sie müssen umverteilen zugunsten der unterentwickelten Bevölkerungsteile. Für die Wohlfahrtsstaaten ist ein Zurückgehen von 3,8 auf 1,6 unverzichtbar, möglichst ohne Lebensqualität zu verlieren.
Die Logik und der Zwang zum Wachstum muss abgelöst werden von einer Balance – oder „Genug“ Ökonomie: von der Gier zur Einfachheit, von der Großtunsucht zur Hingabe und von der Resignation zum Engagement. So leitet der Heilige Geist zur Transformation. Das ist die Hoffnung.
Praktisch frage ich mich, wie finde ich bzw. finden wir in meiner kleineren oder größeren Gemeinschaft zu einem konkreten Lebensstil mit einem ökologischen Fußabdruck von 1,6 statt 3,8?“
Michael Martin: Das heutige Tagesthema bei der VV des LWB war: "Salvation not for sale". Eindrücklich wurde beschrieben, wie unterschiedlich der ökologische Fußabdruck in den Ländern des Nordens und den Ländern des Südens ausfällt. Es hängt von unserem Lebensstil ab, ob wir weiterhin auf Kosten unserer Kinder und Enkel leben oder ob wir es schaffen, die Schöpfung Gottes zu bebauen und bewahren. Wir als Menschen sind Teil der einen Schöpfung, wir sind Mitgeschöpfe und es liegt an uns, ob wir ...die Biodiversität unserer Erde erhalten, ob wir den CO2-Ausstoß in Grenzen halten können und so die Ausbreitung der Wüsten und die Vermehrung von Klimakastrophen eindämmen können oder ob wir den Raubbau an Land und Wäldern beenden. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass es vermehrt Klimaflüchtlinge geben wird. Die Frage nach Gerchtigkeit, Frieden und Erhaltung der Schöpfung sind eben untrennbar miteinander verbunden. Wir hören von den teilweise katatsrophalen Auswirkungen unserer Lebensweise in andern Teilen der Welt. Das kann uns als weltweite Kirche nicht gleichgültig lassen. Es ist Zeit, gemeinsam nach neue Wegen zu suchen und diese auch zu gehen.
Karsten Schaller: „Reformation und Freiheit – vieles, was zum Einmaleins unseres lutherischen Glaubens gehört, wird mir erst hier im globalen Kontext wieder so richtig bewusst: Was muss das für eine Dynamik der Befreiung gewesen sein, die die Menschen im 16. Jahrhundert erfasst hat? Was für ein Aufatmen? Was für ein wunderbares Gefühl, sich innerlich und äußerlich aufrichten zu dürfen? Bei vielen Teilnehmern der Vollversammlung aus dem globalen Süden darf ich genau das in diesen Tagen spüren und damit eine starke, verwandelnde, heilende Kraft, die bis heute von der Reformation ausgeht. Hier ist Reformation mehr als Kultur und Stabilisierung eigener Identität. Hier ist Reformation „ongoing“ als gemeinsames Aufatmen im gemeinsamen befreiten und befreienden Singen, Beten und Nachdenken über das Evangelium. Hier bewirkt die Reformation vor 500 Jahren ein gemeinsames Aufstehen gegen alles, was uns diese Freiheit nimmt: ein Aufstehen gegen Unterdrückung und für Gendergechtigkeit, gegen eine Ideologie des Marktes, die kein Mitleid kennt und nur auf Wachstum aus ist, für neue Modelle und Lebensformen, die menschen- und schöpfungsfreundlich sind – kurz: dem Leben aller dienen.
In dieser Vollversammlung erlebe ich, wie Heil nicht nur das Heil über den Tod hinaus meint oder sich auf meine persönliche Beziehung zu Gott beschränkt, sondern auch hier und jetzt in einer Befreiung zum Leben und in der Heilung von Beziehungen liegt. Erlösung muss immer auch gemeinschaftlich verstanden werden. Erlösung heißt: „Sein dürfen“ ganz konkret. Sie bedeutet „Leben in Fülle“ für alle und sie wirkt dabei in besonderer Weise in dieser Kraft, uns Menschen in einen neuen „Beziehungsmodus“ zu bringen – zu Gott, zu anderen und zu uns selbst. Diese neuen Beziehungen dürfen wir auf dieser Vollversammlung immer wieder erleben – bei allen Unterschieden, die lutherische Kirchen weltweit ausmachen. Allein das ist für mich schon Erfahrung von Gnade in diesen Tagen. Diese Erfahrung macht Mut, sich von dieser befreienden Kraft der Reformation weiter tragen und beflügeln zu lassen. „
Unsere Bilderstrecke zur LWFassembly. Fotos: LWF/Johanan Celine Valeriano, LWF/Albin Hillert, Michael Martin, Heinz Dunkenberger-Kellermann. Musik: David Szesztay "Take care" (FMA)
Nikolaus Blum: „Die Zwölfte Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes geht in die Zielgerade. Heute werden alle Entscheidungen durch die Delegierten getroffen und die neue LWB Leitung unter Führung von Bischof Musa feierlich in ihr Amt eingeführt. Alle Themen, Berichte, Vorarbeiten und Diskussionen, die während dieser Vollversammlung behandelt wurden, sind konzentriert in der Abschlussbotschaft zusammengefasst. Bei der Erstellung der Abschlussbotschaft hat sich Oberkirchenrat Michael Martin als Vorsitzender des Redaktionsausschusses besondere Verdienste erworben. Aus meiner Sicht sind zwei Punkte besonders bemerkenswert. Zum einen sind nicht nur die Herausforderungen ausgeführt, die die Mitgliedskirchen in Gesellschaft und Politik angehen und einer gerechten Lösung zuführen wollen, sondern auch die Herausforderungen, die innerhalb der Mitgliedskirchen anzugehen und zu lösen sind. Es fehlt also nicht am selbstkritischen Blick. Zum anderen kommen in der Botschaft die großen Gemeinsamkeiten der christlichen Kirchen zum Ausdruck. Die großen Fortschritte in der Ökumene werden nicht nur als Ereignisse erwähnt, sondern kommen auch inhaltlich in vielen gemeinsamen Positionen zum Ausdruck. Das nährt die Hoffnung, dass die christlichen Kirchen in Zukunft noch stärker gemeinsam an einem Strang und in eine Richtung ziehen.“
Tim Sonnemeyer: „Wir melden uns aus dem spannenden Geschäftsteil, in dem viel abgestimmt wird! Mit elektronischen Abstimmgeräten geht das dankenswerterweise innerhalb von Sekunden. Ca. 300 Delegierte haben in den letzten Tagen den neuen Rat und den neuen Präsidenten Filibus Musa aus Nigeria gewählt. Heute ist leider schon der letzte Tag, es gibt aber noch viel zu tun: 28 Resolutionen, zwei Public Statements und eine Message werden diskutiert und abgestimmt. Dabei geht es um Themen wie Gender Justice, Frauenordination, Flüchtlinge, die Beziehung zwischen Namibia und Deutschland, (theologische) Bildung und viele andere aktuelle Themen. Heute Abend wird der neue Rat des LWBs eingesetzt und gesegnet. Danach gibt es ein großes Abschiedsfest!
Bild: LWF / Johanan Celine Valeriano
Michael Martin: Jetzt geht es wieder nach Hause - mit viele guten Erinnerungen daran, dass die weltweite lutherische Kiche sehr lebendig ist: "Here we stand - here we journey ...". Es tut gut, das erfahren zu haben, wenn zu Hause wieder das alte "Kichturmdenken" wartet und jede Menge kleiner und kleinster Probleme zu lösen sind, angesichts der Herausforderungen, von denen die Delegierten aus der ganzen Welt in Windhoek erzählen konnten, aber auch angesichts der großen Hoffnungen und des unbeschreiblichen Engagements für Versöhnung, Friede und Gerechtigkeit vor Ort und in unserer einen Welt: "Communion (koinonia) is a precious gift received by God’s grace, and it is also a task. The problems of this age need not define us. Earthly structures and forms may fall, but in Christ Jesus, sin and death have no power over us. Freed by grace through faith, we are liberated to be a church in service with the neighbor." (aus der Botschaft der Vollversammlung, Nr.37).
Die Delegierten kamen im Jahr des 500-jährigen Reformationsjubiläums zusammen, sie erklärten in der Botschaft der Vollversammlung, dass der LWB eine Kirchengemeinschaft ist, die durch Gottes Gnade befreit ist in allen Dimensionen ihres Lebens und Selbstverständnisses. Die Gabe und Aufgabe der Kirchengemeinschaft zeigt sich für sie in dem Engagement des LWB für Versöhnung, Aufbau von Gemeinschaft und prophetische Diakonie inmitten vieler sozialer und ökonomischer Faktoren, die die „Freiheit“ auf die Probe stellen. Im folgenden einige Kernpunkte der Botschaft der Vollversammlung:
Erlösung – für Geld nicht zu haben
Die Delegierten erklärten, “Erlösung kann nicht für Geld angeboten werden, denn man kann sie nicht besitzen“, Gott hat sie in Christus bedingungslos gegeben. Weiter sagten sie: „Genau wie zur Zeit Martin Luthers wird auch heute auf manipulative, nötigende, falsche Hoffnung weckende und gar tödliche Weise die Erlösung zur Ware herabgewürdigt. Wieder sind falsche Auslegungen von Erlösung, einschließlich der weiten Verbreitung des Wohlstandsevangeliums, auf dem Markt für Geld zu haben.“
Menschen – nicht für Geld zu haben
Die Delegierten verkündeten, dass Menschen für Geld nicht zu haben sind und erklärten, dass in der Taufe Christinnen und Christen bevollmächtigt werden, an Gottes Mission (missio Dei) mitzuwirken, „als Nachfolger Christi, Mitarbeitende im Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung“. Die Kirchen wurden aufgefordert, ökonomischen und politischen Ideologien zu widerstehen, die die Gaben des menschlichen Lebens zu Waren machen wollen und stattdessen durch Gemeinschaft, Gottesdienst und diakonischen Dienst versöhnende Integrationsmechanismen zu etablieren. Mit Verweis auf die hohe Zahl von vertriebenen Menschen in der heutigen Welt – 65 Millionen – baten die Delegierten das Büro der Kirchengemeinschaft, „weiterhin für Flüchtlinge und MigrantInnen einzutreten und die Mitgliedskirchen bei der Entwicklung ihrer Kapazitäten zur Aufnahme von Flüchtlingen und zur Leistung langfristiger Entwicklungsarbeit zu unterstützen, was sie in ihrer Eigenständigkeit fördert.“
Schöpfung – nicht für Geld zu haben
Die Vollversammlung bekannte Gott als einen relationalen Gott, der als Quelle allen Seins die Schöpfung schafft und mit Leben erfüllt. Die Delegierten verurteilten den wachsenden Verbrauch der Menschen – 1,6 Planeten im Jahr mit zunehmender Tendenz – und stellten fest, dass „die ganze Schöpfung stöhnt unter der Last von Ungleichgewicht, Übernutzung und Missbrauch“. Sie riefen die Mitglieder der Kirchengemeinschaft auf, „der Versuchung und Fehlinterpretation zu widerstehen, als Herren und Herrinnen zu handeln, die die Schöpfung beherrschen. Vielmehr sind wir Haushalter und Haushalterinnen, die verantwortlich sind“, die Schöpfung zu bewahren.
Befreiende Gnade: Unsere gemeinsame Aufgabe
Die Botschaft der Vollversammlung sieht die Kirchengemeinschaft sowohl als Gabe wie als Aufgabe. „Wir sind durch die Gnade im Glauben befreit dazu, Kirche zu sein im Dienst mit den Nächsten. Nehmen wir in vollem Umfang Anteil an Freud und Leid der je anderen Glieder der Gemeinschaft, beten wir füreinander und teilen wir, wo immer möglich, unsere spirituellen wie materiellen Ressourcen miteinander.“ „Wir sind befreit durch Gottes Gnade und gehen voller Freude hinaus, diese Aufgabe wahrzunehmen.“ Mit diesen Worten schließt die Botschaft der Vollversammlung.
In den folgenden Wochen und Monaten werden die Delegierten und die Teilnehmerinnen der Begleitgruppe in ihren Netzwerken über die Themen und Beschlüsse informieren. Ideen für die Weiterarbeit an den Themenschwerpunkten werden entwickelt, so plant beispielsweise der Direktor des Partnerschaftscentrums Mission EineWelt, Hanns Hörschelmann, eine Wanderausstellung für Gemeinden, die diese Themenschwerpunkte visualisieren und für Kirchenmitglieder anschaulich präsentieren. So sollen auch in den Gemeinden Gespräche über Schöpfungsthemen, Erlösung, Gnade und das Miteinander angeregt werden.
Der Lutherische Weltbund ist die Gemeinschaft der weltweit mehr als 74 Millionen lutherischen Christen. Zum LWB gehören 145 Kirchen in 98 Ländern. Das oberste Leitungsgremium des Lutherischen Weltbundes ist die Vollversammlung. Sie trat zuletzt 2010 in Stuttgart zusammen. Die 12. Vollversammlung tagte vom 10. bis 16. Mai 2017 in Namibia. Die Delegierten treffen grundsätzliche Entscheidungen, legen das Arbeitsprogramm fest und wählen den Präsidenten sowie den Rat.
20.09.2017
ELKB