"Wir leben vom Vertrauen“, sagt Pfarrerin Anne Mika.
Bild: Martin Misere
Tansania
Insel der Verständigung
Als Maryam zum ersten Mal zu Hause erzählt, dass im Kurs eine Frau ohne Kopftuch neben ihr sitze, da lachen ihre Eltern. Die muslimische Familie hält die unscheinbare Anekdote über Maryams Kommilitonin Happiness, eine Christin, für einen Witz. An dem Unterricht nehmen schließlich auch Männer teil. Natürlich habe jede Frau dort die Haare zu bedecken, sagt der Vater. Egal ob muslimischen oder christlichen Glaubens.
Da widerspricht die Tochter: Jede Religion solle nach ihren eigenen Regeln leben. Auch wenn damit so manche gesellschaftliche Norm auf der muslimischen Inselgruppe Sansibar in Frage gestellt wird. Dass sich eine Gesellschaft ändern kann. Und dass dies etwas Gutes sein kann. Der Vater schweigt. Und verzichtet schließlich auf Protest.
Maryam und Happiness sitzen weiterhin jeden Tag im „Zanzibar Interfaith Centre“ (ZANZIC) von Stone Town nebeneinander, die eine mit, die andere ohne Kopftuch. Maryam ist Teil der muslimischen Mehrheit, Happiness eine von gerade mal 27.000 Christen, sie stellen weniger als zwei Prozent der Bevölkerung. Beide sehen sich als zukünftige Botschafter. Für die Integration der christlichen Minderheit. Nein, mehr: ein friedliches Zusammenleben aller ethnischen und religiösen Gruppen. Und das nicht nur auf Sansibar.
Zwei Jahre lang dauert es, bis die beiden jungen Frauen ihr Diplom zu „Interkulturellen Beziehungen“ in der Tasche haben. Eine Initiative, die im Jahr 2005 von der Evangelisch-Lutherischen-Kirche in Tansania (ELCT) ins Leben gerufen wurde - und ein wichtiger Grund ist, warum die interreligiösen Beziehungen auf Sansibar als hervorragend gelten. 18 Absolventinnen und Absolventen gibt es aktuell, mit Perspektiven für Arbeitsplätze in der Zivilgesellschaft.
Interreligiöser Dialog ist harte Arbeit, an der auch die deutsche Pfarrerin Anne Mika von der Ost- und Küstendiözese im Großraum Dar-es-Salaam mitwirkt. Die 33-Jährige gilt als glänzende Kommunikatorin – was für ihre Aufgaben auf Sansibar entscheidend ist. Bei der Absprache mit den anderen christlichen Konfessionen zu neuen Projekten, den Absolventen, vor allem aber bei den zahlreichen Treffen mit den einflussreichsten unter den Tausenden Imamen Sansibars. Sie ist viel auf den Inseln Sansibars unterwegs, besonders auf dem angelegenen Pemba.
„Wir leben vom Vertrauen“, sagt Mika, „meine muslimischen Gesprächspartner wissen, dass wir niemanden missionieren wollen. Wir ermutigen zum Austausch, wollen Reflektionen anregen.” Und eine wirtschaftliche Perspektive zu schaffen. Besonders für Frauen, denen das Zentrum handwerkliche und betriebswirtschaftliche Ausbildungsmöglichkeiten anbietet. 800 Graduierte gibt es in diesem Programm bislang, die meisten haben danach kleine Geschäfte eröffnet. Mit Erfolg.
Neun Jahre ist es inzwischen her, dass religiös motivierte Gewalt auf Sansibar Schlagzeilen gemacht hat. Damals wurden zwei katholische Priester ermordet, zwei britische Touristinnen wurden bei einem Säure-Attentat verletzt. Die Politiker und Muftis der Inselgruppe rea-gierten entschieden. Mit Strafverfolgung der Täter und strengeren Gesetzen, die schon bei religiös motivierten Beleidigungen greifen. Es gilt, radikalen Tendenzen jeglichen Nährboden zu entziehen.
Dazu setzte die Regierung auf symbolische Maßnahmen wie gemeinsame Auftritte und Mahlzeiten von Imamen und Bischöfen. Nicht nur, weil die Ereignisse damals den Tourismus und damit die Haupterwerbsquelle der Inselgruppe gefährdete. Sondern auch, weil der Islam auf Sansibar als sehr friedlich gilt, stark beeinflusst von Ibaditen aus dem Oman.
Im ersten Stock des Zentrums ist Pfarrer Lameck Byonge mit dem Unterricht des Tages fertig. Zeit, ein wenig über den Fortschritt der vergangenen Jahre nachzudenken. Und verblie-bene Probleme. „Es hat sich viel getan. Die Regierung legt inzwischen deutlich mehr Wert auf Bildungsangebote zur Verständigung der Religionen“, sagt er, „das hat sehr geholfen.“ Aber der 42-Jährige beobachtet auch steigende Investitionen aus Saudi-Arabien, die ihm Sorge bereiten. Und einen Kollar würde er nach wie vor nicht offen auf der Straße tragen. Ebenso wenig wie die Bibel.
Am Mittag hat die aus München stammende Pfarrerin Mika ein Treffen mit einigen der füh-renden Imame organisiert. Sie treffen sich im Dachgeschoss des Gebäudes, der Blick hat fast symbolischen Charakter: Er bleibt gleich an mehreren Moscheen und Kirchen hängen. Es wird gescherzt und gelacht, man kennt sich gut. Aber es kommen auch ernste Themen zur Sprache. „Die sozialen Medien bereiten uns Probleme“, sagt der Imam Abdulla Talib, „die Jugendlichen sind fast immer an ihren Handys, und einige werden über das Internet vom Salafitentum beeinflusst.“ Manchmal würden auch Wortschnipsel von Muftis aus Sansibar falsch zusammengeschnitten und mit aufwiegelnden Botschaften verbreitet.
Mika hört zu, macht sich Notizen. Längst gibt es „IT-Botschafter“ auf Sansibar, die in den Sozialen Medien den Aufwieglern Kontra geben und Falschmeldungen richtigstellen. Eine Initiative, die man wohl weiter ausbauen wird.
Nach knapp zwei Stunden geht die Gruppe auseinander, in völlig verschiedene Lebensräume. Aber doch im gefestigten Bewusstsein, ein gemeinsames Team zu sein: in ihrem Stre-ben nach friedlichem Zusammenleben.
19.12.2022
Jonathan Elian