Im Kampf gegen die Jugendbanden schickt die Regierung weitere Soldaten auf die Straßen.
Bild: ELKB/Gloel
El Salvador
Der Teufel von Hollywood
Der „Teufel von Hollywood“ sitzt in einem Gefängnis in El Salvador und er weint. Der in der Nähe von Hollywood in den USA aufgewachsene El Salvadorianer wurde – wie Hunderttausende andere „Illegale“ in den vergangenen Jahren – aus den USA ausgewiesen und in das Land seiner Eltern deportiert.
Bereits dort massiv straffällig Gewordene, finden bei ihrer Rückkehr meistens keine Aufnahme in der Familie und keine Arbeit in der desolaten Wirtschaftssituation ihres Landes. Es bleibt oft nur das Leben in den sog. Maras: Banden von Männern zwischen 15 und 40 Jahren, die auch dafür verantwortlich sind, dass El Salvador das Land mit der wohl weltweit höchstens Mordrate ist: je nachdem, welcher Statistik man glaubt, handelt es sich um 15-22 Morde pro Tag in diesem Land mit nur 6,5 Mio Einwohnern.
Es muss noch eine andere Lösungsmöglichkeit geben, als die Mitglieder der Maras einzusperren oder zu töten.
Bischof Medardo Gomez hat die Anführer der größten Banden an einem geheimen Ort bereits wiederholt zu Treffen eingeladen.
Es ist ein Krieg der Armen gegen die Armen: Die Banden, denen ca. 75.000 Männer angehören sollen, stecken Territorien für ihre kriminellen Machenschaften ab: die Summen, um die es etwa bei Schutzgelderpressungen geht, erscheinen in wohlhabenden Ländern lächerlich. Hier aber stirbt, wer ein Schutzgeld in Höhe von 3 US-Dollar nicht bezahlen kann. Der Initiationsritus in eine Mara sieht inzwischen vor, dass der Neue mehrere Morde zu verüben hat: unter den zu Ermordenden muss einer der besten Freunde sein.
Eine „soziale Bewegung“ nennt der evangelische Bischof von El Salvador, Medardo Gómez die Maras. Nahe liegend ist, dass er das zynisch meint, aber nicht nur: sind diese Mörderbanden doch die einzige gesellschaftliche Gruppe, in der Zurückkehrende und Ausgewiesene oft Aufnahme, Gemeinschaft, Zugehörigkeit und Identität finden – um zu erpressen, zu morden und irgendwann wahrscheinlich ermordet zu werden.
Der Bischof besucht den von vielen als „Teufel von Hollywood“ Bezeichneten im Gefängnis und betet für ihn, worauf hin dieser zu weinen beginnt. „Du weinst?“ fragt der Bischof. „Ihr kommt zu uns ins Gefängnis. Wir sind die Vergessenen. Ich habe vier Kinder und will nicht, dass sie ein Leben führen müssen, wie ich es führte“ erhält er zur Antwort. Mit diesem Leben meint er wohl vor allem das im Gefängnis: Wird draußen wieder ein Polizist oder Soldat von den Maras getötet, wird den Angehörigen der jeweiligen Bande im Gefängnis oft für längere Zeit Licht und Hofgang entzogen.
Der Hass zwischen Ordnungskräften und Banden eskaliert immer wieder, nicht zuletzt, weil erstere oft eine problematische Rolle in dieser Hölle außergesetzlicher Gewalt spielen: so komme es durchaus vor, dass die Polizei ein Bandenmitglied festnehme und bewusst im Territorium einer verfeindeten Mara freilasse, im sicheren Wissen, dass er dort allenfalls nur noch wenige Minuten überleben würde.
„Es muss noch eine andere Lösungsmöglichkeit geben, als die Mitglieder der Maras einzusperren oder zu töten“ ist Bischof Gómez überzeugt. Als Präsident von IPAZ, einer aus kirchlichen und zivilgesellschaftlichen Mitgliedern bestehenden „Pastoralen Initiative für das Leben und für den Frieden“ hat er die Anführer der größten Banden an einem geheimen Ort bereits wiederholt zu Treffen eingeladen. „Bischof, damit übernimmst du dich. Das ist eine Nummer zu groß für dich!“ So oder so ähnlich habe der Präsident von El Salvador dieses Vorhaben kommentiert. Wer sich mit diesen Leuten an einen Tisch setzt, steht aufgrund der Anti-Terrorgesetze bereits mit einem Bein im Gefängnis. Aber der Bischof riskiert das und die Zeit war reif dafür. Polizei und Militär hatten die Maras inzwischen so konsequent bekämpft, sodass diese unter Druck gerieten und die Einladung des Bischofs annahmen.
Drei bis vier Treffen haben inzwischen stattgefunden. Beim letzten Treffen Mitte Februar 2017 haben zwei der größten Banden offiziell einen „Koordinationstisch“ gegründet, der die Deeskalation der Gewalt zum Ziel hat. Es besteht die Hoffnung, bald auch die Regierung in diese Gespräche ein zu beziehen, um den Konflikt zu transformieren.
Auch in den eigenen Reihen erntet der Bischof nicht nur Zustimmung: manche seiner Mitarbeiter haben selbst Opfer in der Familie zu beklagen und sind der Meinung: diese Mörder haben erst einmal eine Strafe verdient und nicht die Einladung zum Gespräch. Aber Gomez und seine Gruppe IPAZ betrachten das nüchtern: das einzige, was uns mit den mehrfachen Mördern am Tisch verbindet ist die Notwendigkeit, nach Alternativen zur derzeitigen Situation zu suchen.
Eine Pfarrerin, die bei IPAZ mitarbeitet weiß, dass es kaum möglich ist, eine Mara zu verlassen, ohne getötet zu werden. Außer – und das erstaunt: ein christliches Bekehrungserlebnis werde als Grund für den Ausstieg aus der Bande von den Kriminellen anerkannt.
Für Ausgestiegene müsse es aber eigentlich ein Nicht-Wieder-Einsteigerprogramm geben, denn es sei ja alles andere als einfach, Aussteiger auf zu fangen, in einem neuen Leben zu stabilisieren. Ganz praktisch fördert IPAZ deshalb z.B. die Entfernung von Tätowierungen, mit denen Bandenmitglieder ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe bekennen.
Auch die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern bemüht sich nach Kräften, Hilfe zu leisten: durch ihre kirchliche Stiftung Wings of Hope werden in Zusammenarbeit mit kirchlichen Mitarbeitern in El Salvador und den Nachbarländern Traumapädagogen und –therapeuten ausgebildet, die beim Umgang mit Gewalterfahrungen helfen. Zunächst aber wird man eine Zunahme des Gewaltproblems erwarten müssen: haben die USA in den vergangenen Jahren bereits Hunderttausende nach El Salvador und in die Nachbarländer deportiert, wo das Problem oft sehr ähnlich ist, so könnten es bald Millionen sein.
Die lähmenden Folgen der so verfestigten Gewaltstrukturen lassen sich ab dem späten Nachmittag eines jeden Tages gut im Zentrum der Hauptstadt San Salvador nachvollziehen: Ab etwa 17 Uhr marschieren große Gruppen an Soldaten mit schweren Waffen auf und nehmen Aufstellung auf Straßen und Plätzen. „Wir müssen jetzt gehen“, sagt ein deutscher Mitarbeiter, der hier lebt, denn am Abend und in der Nacht gehört die Stadt den Banden, der Polizei und dem Militär.
Hans-Martin Gloël
Das mit Abstand blutigste Land der Welt ausserhalb von Kriegsgebieten ist El Salvador. Hans-Martin Gloël war im Februar in San Salvador und besuchte die Partnerkirche. "Der evangelische Bischof unserer Partnerkirche, Medardo Gómez, engagiert sich mutig bei der Suche nach Alternativen für diese verfestigten Gewaltstrukturen." Kirchenrat Gloël ist Referent für Ökumene und Weltverantwortung in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.
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24.02.2017
Hans-Martin Gloël