Äthiopien ist eines der Länder mit der ältesten christlichen Tradition.

Äthiopien ist eines der Länder mit der ältesten christlichen Tradition.

Bild: Brot für die Welt / Krackhardt

Fürbitte für Bedrängte und Verfolgte

Hoffnung, dass es langfristig besser wird

Über Arbeit und Leben in der deutschsprachigen Gemeinde in Äthiopien. Ein Interview mit Matthias Rohlfing, Pfarrer der Evangelischen Kreuzkirchengemeinde in Addis Abeba.

Äthiopien ist eines der Länder mit der ältesten christlichen Tradition. Zahlreiche UNESCO-Weltkulturerbestätten zeugen von einer langen Geschichte und reicher Kultur. Doch Äthiopien ist auch ein von Naturkatastrophen, Hunger und Kriegen gezeichnetes Land. Und ein Land, in dem Christen immer wieder gegen ihre Glaubensgeschwister kämpfen und dabei auch nicht davor zurückschrecken, bedeutende religiöse Stätten zu zerstören. Matthias Rohlfing ist seit Herbst 2021 Pfarrer der Evangelischen Kreuzkirchengemeinde in Addis Abeba. Oberkirchenrätin Sabine Dreßler befragte ihn zur Arbeit der deutschsprachigen Gemeinde in Äthiopien.

Was hat Ihr Leben und das Ihrer Gemeinde seit Ihrer Ankunft im September 2021 hauptsächlich bestimmt?
Zunächst einmal waren wir mit unseren persönlichen Eindrücken sehr beschäftigt. Die Millionenstadt Addis Abeba ist übervoll mit Menschen. Das Leben findet auf der Straße statt. Verkaufsstände und angebotene Waren auf dem Gehsteig, Luxus-SUVs und Eselskarren, Blechhütten, Baustellen und Wolkenkratzer – alles wuselt durcheinander. Das ist großartig zu erleben, aber auch sehr anstrengend.
Mittendrin haben wir von der Kirchengemeinde ein grünes Gelände mit einer interessanten Kirche. Hier feiern wir deutschsprachige Gottesdienste und sitzen gern im Garten beim Kirchkaffee. Allerdings ist die Gemeinde durch die Coronakrise und andere Probleme sehr geschrumpft. Und dann haben einige auch eine lange Anfahrt zur Gemeinde, weil die Straßen der Stadt so voll sind.

Evangelische Kirche in Deutschland (EKD)

Cover des Buches Evangelische Kirche in Deutschland (EKD): Fürbitte für Bedrängte  und Verfolgte Sonntag Reminiszere, 5. März 2023 Im Fokus: Äthiopien

Fürbitte für Bedrängte und Verfolgte Sonntag Reminiszere, 5. März 2023 Im Fokus: Äthiopien

Diese Publikation gibt Hintergrundinformationen zur Geschichte und zur reichen religiösen Tradition des Landes. Sie informiert über die politische Situation und den Krieg im Norden und beschreibt die Folgen der schwersten Dürre seit Jahrzehnten. Ergänzt wird dieser Überblick durch Hinweise auf unterstützenswerte Projekte und Anregungen zur Gottesdienstgestaltung.

Und was bekommen Sie vom Krieg im tausend Kilometer entfernten Tigray mit?
Wenige Wochen nach unserer Ankunft rückte die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) so bedrohlich nah an die Hauptstadt heran, dass fast alle Deutschen ausreisen mussten. So war meine Familie plötzlich wieder in Deutschland, während ich noch im Land bleiben konnte. Die Sicherheitssituation in der Hauptstadt blieb aber relativ friedlich. Zum Weihnachtsgottesdienst kamen dann zwölf Leute. Es war ein besonderes Fest. Glücklicherweise beruhigte sich die Situation wieder und zu Silvester war meine Familie wieder vereint.

Äthiopien ist aktuell von mehreren schweren Krisen erschüttert: Die große Dürre im Süden des Landes, die Fluchtbewegungen durch den Krieg in der Tigray-Region, und jetzt noch die durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine bedingte Hungerkrise. Welche Auswirkungen hat das auf den Alltag der Menschen auch in Ihrer Gemeinde?
Mir ist hier deutlich geworden, wie wichtig Sicherheit und gleichbleibende Umstände für gute Entwicklung sind und dafür, dass Menschen überhaupt Hoffnung haben können. Projekte der Entwicklungszusammenarbeit brechen durch die Unruhen immer wieder zusammen. Felder werden verwüstet, Werkstätten und Krankenhäuser geplündert, sogar Flüchtlingslager mit Panzern niedergewalzt. Binnenflüchtlinge kommen in die Stadt. Alles wird teurer, insbesondere Nahrungsmittel. Das alles macht zuweilen sehr traurig und ist frustrierend, auch für unsere Gemeindeglieder. Hinzu kommt, dass wir uns in unserer Gemeinde oft nicht treffen konnten. Da ist es schwer, tragende Beziehungen aufzubauen.

Was braucht es da von außen?
Für uns ist es sehr hilfreich, wenn wir aus der Heimat gleichbleibende Unterstützung bekommen von Menschen, die ein Herz für Äthiopien haben. Damit meine ich nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern auch Gebete und das persönliche Interesse an dem, was wir hier tun.

Wie ist Ihre Gemeinde vernetzt? Und was bekommen Sie von den anderen Kirchen in Äthiopien mit?
Äthiopien gehört mit zur Wiege der christlichen Kirche. Beim Timqet, also dem Fest der Taufe Jesu, oder beim Mäsqälfest, das in Erinnerung an die Kreuzauffindung gefeiert wird, gibt es prachtvolle Umzüge mit Tanz, Pauken und Trompeten auf überfüllten Straßen. Das versetzt einen in die Zeit Salomos. Die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche hat ja eine sehr alttestamentlich orientierte Praxis.
Natürlich gibt es den offiziellen Dialog mit dem Patriarchen und anderen Vertretern der Orthodoxen, oder mit der Mekane-Yesus-Kirche, der größten lutherischen Kirche weltweit. Die Anglikanische Kirche liegt nicht weit entfernt von uns und wir feiern manchmal gemeinsame Gottesdienste. Zu unserem Taizégebet kommen äthiopische, deutsche und französische Christen. Insgesamt ist Ökumene hier sehr spannend, weil jeder mit jedem direkten Kontakt hat und große Freude an der gegenseitigen Unterstützung herrscht. Fast automatisch bekommt man hier ein weites Herz für die Geschwister aus anderen Kirchen.

Zu Ihrer Gemeinde gehört die German Church School. Welche Kinder erreichen Sie mit der Schule und was sind die besonderen Kennzeichen der Einrichtung?
In die German Church School kommen Kinder aus der Nachbarschaft. Sie leben in Blechhütten, die Eltern (oft ist nur die Mutter noch bei der Familie) sind meistens ohne Arbeit oder sie sind nur sehr geringfügig beschäftigt. Eigentlich haben diese Kinder in der äthiopischen Gesellschaft keine Chance. In unserer Schule bekommen sie Unterricht von der ersten bis zur achten Klasse. Aber auch danach fördern wir sie bis zum Abschluss einer Ausbildung. Sozialarbeiter kümmern sich um die Familien der Schüler und auf einer kleinen Krankenstation sorgen wir für kostenlose medizinische Versorgung.

Wie viele Kinder erreichen Sie?
Zu uns kommen etwa 370 Schülerinnen und Schüler, darunter auch Kinder mit Behinderung. In diesem Jahr feiern wir 50-jähriges Schuljubiläum und es ist schön, bei dieser Gelegenheit die Ehemaligen zu treffen, die tatsächlich erfolgreich ihre Ausbildung absolvieren konnten und nun teilweise als Architekt, Rechtsanwalt oder Pilot arbeiten.

Wie finanziert sich diese Arbeit?
Die äthiopischen Behörden sehen unsere Schule zwar als Modellschule an. Aber alles ist spendenfinanziert. Und die Verantwortung tragen wir als Kirchengemeinde, welche die Trägerschaft hat. Dennoch ist sie keine deutsche, sondern eine äthiopische Schule mit ausschließlich äthiopischen Lehrern und Angestellten. Und sie funktioniert nach äthiopischen Regeln. Es ist wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler äthiopische Rollenvorbilder haben, damit sie später mit ihrer guten Bildung nicht nach Europa auswandern, sondern für ihr Land Gutes tun.

Welche Rolle spielen Sie als Pfarrer da?
Ich bin als Pfarrer nur gelegentlich mit den Schülerinnen und Schülern zusammen und eher mit der Leitung und Verwaltung beschäftigt. Darüber hinaus unterstütze ich unseren Förderverein „Melkam Edil“ darin, persönliche Kontakte zu unseren Spenderinnen und Spendern zu pflegen. Gerade in diesen unruhigen Zeiten bedeutet es für die Familien sehr viel, dass sie ihre Kinder zu unserer Schule schicken können. Das gibt ihnen nicht nur eine gute Bildung, sondern vor allem Hoffnung, dass es langfristig besser wird.

Wenn in Deutschland am Sonntag Reminiszere in den Kirchen an die Situation der Geschwister in Äthiopien gedacht und für sie Fürbitte gehalten wird: Worauf sollten wir besonders hinweisen und was darf dabei aus ihrer Sicht nicht fehlen? Und umgekehrt: Welche Botschaft hätten Sie für uns?
Seid dankbar! Trotz aller Einschnitte, die Coronakrise und Ukrainekrieg in Deutschland bedeuten: Wir sind in Deutschland sehr privilegiert!
Betet für die äthiopischen Familien unserer Schulkinder und alle äthiopischen Familien hier in der Stadt, dass sie die Hoffnung nicht verlieren.
Betet für die Landbevölkerung, die besonders unter Kämpfen und Armut zu leiden hat. Dass die jungen Männer sich nicht aus Frust und Wut den Milizen anschließen. Dass Familien beieinanderbleiben, einander ermutigen und die Stärke finden, all das erlittene Unrecht und die Gewalttaten zu verarbeiten.
Betet für die Projekte der Entwicklungszusammenarbeit. Betet für Sicherheit, für Ausdauer trotz vieler Rückschläge, für Rückhalt und gute Zusammenarbeit in der einheimischen Bevölkerung.

Ein Interview mit Matthias Rohlfing, Pfarrer der Evangelischen Kreuzkirchengemeinde in Addis Abeba. Die Fragen stellte Oberkirchenrätin Sabine Dreßler von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

13.12.2022
EKD

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