Vier Mädchen an einem Tisch in der „Freundlichen Ecke“ im Armenviertel.

Brasilianische Kinder im der „Freundlichen Ecke“ im Armenviertel.

Bild: Mission EineWelt

Brasilien

Die "Freundliche Ecke" im Armenviertel

Die „Creche Cantinho Amigo“ liegt in einer der ärmsten Gegenden der Großstadt Belo Horizonte. Im Umfeld extremer sozialer Spannungen soll sie Zwei- bis Sechsjährigen ein Stück Normalität ermöglichen.

Morgens um sieben beginnt der Tag in der „Creche Cantinho Amigo“. Dann kommen etwa 40 Kinder aus dem Stadtviertel Santa Fè in die „Kindertagesstätte freundliche Ecke“. Gefrühstückt haben sie alle noch nicht – deswegen gibt es für die Zwei- bis Sechsjährigen erst einmal etwas zu essen. Danach: Händewaschen und Zähneputzen. Nach einer kleinen pädagogischen Einheit mit anschließendem Imbiss darf auf dem Hof gespielt werden, dann hinein zum Duschen; zum Mittagessen sollen die Kinder sauber sein. Am Nachmittag Ruhezeit. Dann geht es wieder zum Spiel in kleinen Gruppen. Nach Abendessen und Zähneputzen gehen die Kinder nach Hause, um am nächsten Tag wieder in die „Freundliche Ecke“ zu kommen.

Was nach einem ganz normalen Kindergartenalltag klingt, ist im Bezirk von Riberao das Neves keineswegs selbstverständlich. Das Stadtviertel Santa Fè (Heiliger Glaube), in dem Riberao das Neves liegt, ist eine der ärmsten Gegenden im Ballungsraum der brasilianischen Großstadt Belo Horizonte. Die Kinder, die in der 1993 gegründeten „Creche Cantinho Amigo“ („Kindertagesstätte freundliche Ecke“) betreut werden, würden sonst auf der Straße leben. So auch der Sohn der 30jährigen Sirlene. „Die Creche löst mein Problem, denn ich habe niemanden, bei dem ich meinen Sohn lassen kann“, weiß die trabalhadora autonama (Selbstständige).

Im Umfeld extremer Armut und sozialer Spannungen soll die Kindertagesstätte ein Stück Normalität für Kinder im Alter von zwei bis sechs Jahren ermöglichen. In einem geregelten Tagesablauf lernen sie, zusammen zu essen, zu spielen, zu lernen – und nebenbei die so wichtige Hygiene. Waschen, Duschen, Zähneputzen – all das soll ihnen schon ganz früh selbstverständlich werden; denn die wenigsten von ihnen werden sich später einmal einen Zahnarzt leisten können. Der Einfluss der Creche wird auch im zwischenmenschlichen Zusammenleben deutlich spürbar: „Die Creche tut meinem Jungen gut“, sagt die 37-jährige Marlúcia. „Er sagt jetzt bitte und danke und ich spüre, dass er aufmerksamer mit den anderen umgeht.“ Es sind hauptsächlich Kinder von allein erziehenden Müttern, die hier betreut werden. Der Träger ist der Diakonieverein der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde in Belo Horizonte.

Die Kindertagesstätte verfolgt folgende Ziele:

- ausgewogene Ernährung
- didaktisch-pädagogische Aktivitäten, um die Fähigkeiten der Kinder weiter zu entwickeln
- angeleitetes und freies Spielen
- Versammlungen mit den Eltern, Gespräche über die Entwicklung der Kinder
- Anleitung zu einer fest verankerten persönlichen Hygiene

Der Staat und die Kommune beteiligen sich nur zu einem geringen Teil an den Kosten. Drei Viertel des Haushaltes müssen deshalb über Spenden abgedeckt werden. Der Eigenanteil der Familien kann wegen der schlechten finanziellen Situation nicht erhöht werden. Die Eltern oder besser gesagt die Mütter finden nur ganz schwer Arbeit. Sie haben ein unregelmäßiges Einkommen und leben in der ständigen Angst, von einem Tag auf den anderen arbeitslos zu werden. Das Fehlen wirtschaftlich starker Unternehmen in der Region erschwert die Suche nach finanzkräftigen Partnern zusätzlich.

Schwierigkeiten machte auch das Gebäude. Ursprünglich für eine Seifenfabrik gedacht, musste es erst an die Bedürfnisse einer Kindertagesstätte angepasst und immer wieder umgebaut werden. Auch die pädagogische Ausrichtung und das Programm mussten sich ständig an die Realität anpassen. Aber trotz aller Hindernisse konnte die lutherische Kirchengemeinde die Creche für die Kinder, die sonst auf der Straße leben würden, halten – zur großen Erleichterung der Mütter. „Durch die Creche kann ich arbeiten gehen und mein Sohn kann mit anderen Kindern zusammen sein“, erzählt die 22jährige Bäckereiverkäuferin Cristina. „Er lernt, mit anderen Kindern liebevoll umzugehen. Das konnte er früher nicht.“

Jeden dritten Freitag im Monat lädt die Leiterin der Creche zu einer Elternversammlung ein. Dabei wird über verschiedene pädagogische und organisatorische Themen gesprochen. Die Angehörigen werden über Neuigkeiten informiert und sie werden in die pädagogischen Prozesse, die in der Creche geschehen, einbezogen. Natürlich sollen die Verantwortlichen für die Kinder auch erfahren, wie sie sich entwickeln. Deshalb sind die persönlichen Gespräche der Leitung mit den Erziehungsberechtigten sehr wichtig. In dem Umfeld von Kriminalität, Drogen und Armut ist dieses beschützende Element, das die Creche bietet, eine gute Grundlage, damit die Kinder nicht auf schiefe Bahnen geraten.

07.07.2014
Helge Neuschwander-Lutz/ Anne Lüters